Im deutschen Beamtenstaat gab es früher den sogenannten «Wartestand»: Wurde eine Amtsstelle aufgehoben, konnte der Amtsinhaber befristet oder auf Lebenszeit in den Wartestand versetzt werden, womit er Beamter blieb und als solcher auf eine neue Aufgabe wartete. Seit ein paar Wochen weiss ich, wie es sich anfühlt, wenn man sich im Wartestand befindet, hat doch meine derzeitige Situation einen vergleichbaren Charakter – nach der Wahl zwar, aber noch vor Amtsantritt; nicht mehr Kantonsrat, aber auch noch nicht Regierungsrat.

Ich werde freundlicherweise an zahlreiche und verschiedenartige Anlässe eingeladen und auch bereits als zukünftiger Bildungsdirektor begrüsst. Aber Verantwortung trage ich noch keine und über Entscheidungsbefugnisse verfüge ich auch noch nicht. Den befristeten Wartestand nutze ich, indem ich die Übergabe verschiedener Ämter plane und vollziehe. Weiter widme ich mich der Aufgabe, Papiere zu ordnen, die sich in den vergangenen Monaten angehäuft haben. Dieser Papierstapel besteht zu einem ansehnlichen Teil aus Vorstössen, die während vergangener Sessionen im Kantonsrat eingereicht wurden. Die Parlamentarier greifen regelmässig Themen auf, die aktuell sind und in der Öffentlichkeit diskutiert werden. In vielen Fällen wird mit dem Vorstoss eine staatliche Tätigkeit wenn nicht explizit gefordert, so doch zumindest indirekt angestossen.

Bei der Lektüre der Titel und Forderungen dieser parlamentarischen Interventionen gerät man angesichts der angespannten Finanzlage des Kantons zwangsläufig ins Grübeln. Wird nämlich ein Auftrag von der Mehrheit des Kantonsrats unterstützt, werden des Öfteren neue Bestimmungen erlassen und/oder neue Ausgaben beschlossen. Diese Entwicklung ist fatal, denn ein liberal verfasster Staat darf seine Zuständigkeiten nicht kontinuierlich ausdehnen, sonst mischt er sich am Ende selbst in privateste Lebensbereiche ein.

Der Staat muss die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten sowie den Rechtsstaat durchsetzen. Weiter ist unbestritten, dass der Staat Infrastrukturanlagen und Institutionen errichten und erhalten soll, die der Allgemeinheit dienen. Alle darüber hinausgehenden Tätigkeiten müssen von den politisch Verantwortlichen regelmässig auf ihre Notwendigkeit und Zweckmässigkeit hin geprüft werden.

Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister, Bundeskanzler und Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft, sagte einmal: «Ich habe als Bundesminister 80 Prozent meiner Kraft dazu verwendet, gegen Unfug anzukämpfen.» Auf keinen Fall würde ich es wagen, dieses Zitat im Zusammenhang mit Interventionen aus dem Kantonsrat zu verwenden. Das steht mir nicht zu, wird es doch zu meinen künftigen Aufgaben gehören, Vorstösse aus dem Parlament zu beantworten und die Stellungnahme der Regierung mitzuverantworten. Doch so viel ist sicher: Bei den Diskussionen über die für die Sanierung der Kantonsfinanzen notwendigen Massnahmen werden einige Beschlüsseauf den Prüfstand kommen müssen – eine gute Gelegenheit, staatliche Leistungen à fonds zu hinterfragen.

Remo Ankli